In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung (Stand 3.12.2020) habe ich gelesen, dass Microsoft Funktionalitäten bereit stellt, mit denen die Produktivität der Mitarbeiter überwacht werden können.
Es kann herausgefunden werden, wie lange Microsoft Office Produkte verwendet werden, wie lange Dokumente geöffnet wurden, wie schnell sie gelesen werden, wie oft sie verschickt wurden, usw.
Es gibt gleich zwei kritische Punkte bei diesen Thema, die mich beschäftigen: 1.) Darf man seine Mitarbeiter überwachen? 2.) Sollte man einem Algorithmus der Menschen bewertet vertrauen, den man nicht im Detail kennt?
Ich finde es nicht vertretbar seine Mitarbeiter zu überwachen. Ein Arbeitsverhältnis ist auch ein Vertrauensverhältnis. Die Firma muss darauf vertrauen, dass die Mitarbeiter eine gute Arbeit abliefern und damit dazu beiträgt den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens weiter auszubauen. Er muss noch auf andere Dinge vertrauen, dass der Mitarbeiter keine Firmengeheimnisse ausplaudert, dass er die Kollegialität nicht stört, etc. Aber auch die Mitarbeiter müssen ihrem Arbeitgeber vertrauen. Sie müssen darauf vertrauen, dass sie am Ende des Monats ihr Geld überwiesen bekommen (die Mitarbeiter gehen ja in Vorleistung und zwar meistens genau einen Monat lang). Sie müssen aber auch darauf vertrauen, dass das Unternehmen gut geführt wird und nicht in Skandale verwickelt wird, die dann im privaten Auswirkung auf den Mitarbeiter haben könnte. Sie müssen auch darauf vertrauen, dass mit dem Unternehmen so gewirtschaftet wird, dass es nicht insolvent geht. Und noch vieles mehr.
Wenn die Arbeitgeber anfangen ihre Mitarbeiter zu überwachen, zerstören sie dieses Vertrauensverhältnis einseitig. Denn der Mitarbeiter muss weiterhin Vertrauen in sein Unternehmen haben und hat nicht die Möglichkeiten das Unternehmen zu kontrollieren (zumindest nicht die gleichen). Ich sehe hier ein Ungleichgewicht. Und das ist nicht gut. Es wird auch nicht aufgehen. Vertrauen muss im Gleichgewicht sein. Es ist ein System, das nicht in außerhalb der Balance existieren kann. Wenn auf einer Seite das Vertrauen verringert wird, wird es auch automatisch auf der anderen Seite kleiner.
Ich kann mir Unternehmer vorstellen, die sagen, dass es ihnen egal ist, ob ihnen ihre Mitarbeiter vertrauen. Ich glaube jedoch, dass es ein großes Problem ist, wenn die Loyalität gegenüber dem Unternehmen abnimmt. Denn im gleichen Maße sinkt auch die Motivation zur Arbeit. Was dazu führt, dass der Arbeitgeber das Gefühl hat seine Mitarbeiter noch weiter kontrollieren zu müssen, was wieder die Motivation und Produktivität verringert und so weiter. Es ist eine echte Teufelsspirale aus der es keinen Ausweg gibt, denn den Ausweg müsste der Unternehmer selbst initiieren, in dem er seinen Mitarbeiter Vertrauensvorschuss gibt. Denn damit beginnt sich die Spirale in die andere Richtung zu bewegen. Vertrauen erwirkt wieder Vertrauen, da es auch in dieser Richtung ein System ist, das in Balance sein möchte. Doch diesen Schritt kann nur der Arbeitgeber gehen.
Mein zweiter Kritikpunkt ist, dass Unternehmen, die die Funktionalität von Microsoft verwenden, meistens blind auf den Algorithmus vertrauen. Es wird eine Produktivitätskennzahl ausgegeben. Wahrscheinlich kann man sogar darauf Einfluss nehmen, welche Merkmale mit in die Auswertung einbezogen werden. Aber dazu müsste man sich intensiv damit auseinandersetzen. Ich kenne den normalen Arbeitsalltag in Unternehmen. Man hat einfach keine Zeit dafür, denn während man sich Gedanken darüber macht, poppen schon wieder 20 neue E-Mails im Posteingang hoch. Und irgendwann entschließt man sich einfach dem Produkt zu vertrauen. Es ist ja schließlich Microsoft, die dieses Produkt auf den Markt gebracht haben. Die Firma ist groß und bekannt genug, dass man davon ausgehen kann, die Produkte seien durchdacht.
Selbst wenn der Arbeitgeber sich im Detail damit auseinander gesetzt hat, was der Algorithmus macht, hat er aber keine Garantie darüber, dass er das Ergebnis wirklich verwenden kann.
Nehmen wir mich, während ich diesen Artikel schreibe. Immer wieder setze ich beim Schreiben ab, trinke einen Tee, denke nach, spüre nach und wenn sich dann in meinem Kopf das, was ich als nächstes schreiben möchte zusammengesetzt hat, tippe ich es in Höchstgeschwindigkeit herunter, um dann wieder eine längere Pause zu machen. Ich weiß, dass ich mit dieser Arbeitsweise am produktivsten bin. Ich brauche für einen fertigen Artikel auch nicht länger als andere, ich spreche mir sogar zu, dass ich schneller schreibe als andere. Wie würde ein Algorithmus diese Vorgehen bewerten? Er kann nicht sehen, was in den Pausen in meinem Kopf vor sich geht. Er kann nur sehen, dass ich gerade nichts tippe. In dieser Zeit könnte ich aus seiner Sicht auf die Toilette gehen, mit einer Freundin telefonieren, youtube-Videos schauen, etc. Er wird wahrscheinlich auch nicht bewerten, wie schnell ich einen Abschnitt tippe und dass ich kaum Korrekturen brauche, weil ich ihn in meinem Kopf zusammengesetzt habe. Der Algorithmus würde mir bescheinigen, dass ich sehr unproduktiv arbeite.
Ich habe jetzt hier nur eine einzige Arbeitsweise beschrieben. Ich kenne noch sehr viel mehr. Und einige davon finden eben statt, ohne, dass die ganze Zeit im Stakato auf den PC eingehakt wird.
Ich habe von einer Firma gehört, die die Funktionalität von Microsoft benutzte, um herauszufinden, wie Produktivität im Homeoffice funktioniert. Das Unternehmen hat dazu ausgewertet, wie viel Traffic über das Programm MS Teams lief. In den ersten Wochen nachdem Homeoffice eingeführt wurde, war es sehr viel, später wurde es immer weniger. Für das Unternehmen war das der Beweis, dass die Mitarbeiter weniger produktiv waren. Ich und viele der Mitarbeiter haben eine andere Deutung. In den ersten Wochen war man verunsichert und brauchte viel Support. Dieser wurde über Teams geleistet. Auch brauchte man sehr lange, bis man die richtigen Dokumente finden konnte. Es gab also viel, was einfach nur angeklickt wurde, um dann festzustellen, dass es nicht das war, was man brauchte. Später als man mit dem Werkzeug umgehen konnte, ging man viel zielstrebiger vor. Die Kommunikation lief wieder vermehrt über die gewohnten Kanäle Telefon und E-Mail, weil sie sich wieder weg von interner Kommunikation zu externer Kommunikation mit Kunden und Partnern verlegte.
Hatte der Algorithmus in diesem Fall recht? Er gab der Unternehmensleitung die Bestätigung, die sie hören wollte, bildete aber nicht die Realität ab. Waren die Mitarbeiter sehr verärgert darüber, dass sie trotz großem Einsatz von verschiedenen Seiten zu hören bekamen, sie wären unproduktiv? Nahm im folgenden die Motivation ab, weil man es ja eh niemandem Recht machen konnte? Ich werde es dem Leser überlassen diese Fragen für sich selbst zu beantworten. Meine Antwort darauf steht fest.